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Mein heutiger Beitrag ist für mich von besonderer Bedeutung. Er datiert zurück ins Jahr 2001, und ist der erste meiner Texte. Hier war es zum ersten Mal so, dass meine Hand wie von selbst über den Zettel geflogen ist, und die Worte sich auf dem Papier verteilt haben, geradezu ohne mein zu tun aus dem Kugelschreiber geflosssen sind. Erst damit habe ich begonnen mich wirklich mit dem Schreiben auseinander zu setzen und auch ohne diesen Kuss der Muse zu versuchen Geschichten zu schreiben.

Feierabend

18:10. Feierabend. Endlich.
Ein Blick auf die Anzeigetafel, 1 Min bis die U-Bahn kommt. Keine Möglichkeit um es zu kontrollieren - egal. Ich neige meinen Kopf stark nach rechts, das erlösende Knacken der Wirbel... Den Kopf auf die andere Seite überstreckt, stark durchdrücken. Kna-Kna-Knacks. Ja - das tut gut. Ich denke an meine Freundin und stelle fest das sie mir fehlt, also konzentriere ich mich auf die größer werdenden Lichtpunkte im Tunnel.

Die U-Bahn fährt ein. Die Gesichter der Passagiere ziehen an mir vorbei...immer langsamer, sie kommen zum Stillstand. Müde Augen blicken mich an und durch mich durch. Ich stehe günstig, bin schnell in dem Wagon...und hab schon einen Sitzplatz ergattert. Die kleinen Siege des Alltags.
Der Rucksack von den Schultern geglitten, findet auf meinem Schoss platz. Die U-Bahn fährt weiter. Ein kurzer, abcheckender Blick zu meinem schräg vis-a-vis. Ein Bär. Sicherlich über 1,85 groß...Vollbart...rotbraunes Haar...hellbraune Augen..weißes Hemd mit blauer Krawatte - Blickkontakt für wenige Sekunden. Die Revierstreitigkeiten sofort geklärt. Er schaut aus dem Fenster, ich mich im Wagon um.

Südtirolerplatz. Getümmel im Bereich der Türe. Raus, Rein, Tür zu - "Zug fährt ab". Ein Typ der gerade eingestiegen ist kommt näher, setzt sich mir gegenüber hin. "Cooler Bart", registriere ich still für mich, und bemerke das er mich ebenfalls anschaut. Ich blicke ihm in die Augen, er wendet sich ab. Mein blick bleibt auf seinen Bart gerichtet. Die Frage warum _er_ einen coolen Bart hat und ich nicht schleicht sich in meinen Kopf. Ich versuche mich davon abzulenken in dem ich mich wieder im Wagon umschaue. Links von mir, durch den Gang getrennt, sitzt eine Frau. Für unsere Zeiten sicher nichts ungewöhnliches...ist mir sogar schon öfters passiert. Wie gesagt, eine Frau - eine ganz gewöhnliche, nicht sonderlich attraktive (wobei mir wichtig ist anzumerken, das Attraktivität im Auge des Betrachters liegt, und ich keinen Anspruch stelle, das meine Präferenzen in diesem Punkt als relevant gelten), aber auch nicht hässliche (hier gilt im übrigen das selbe wie bei der Attraktivität - nur um das klar zu stellen bevor Fragen aufkommen); eine Frau also wie sie einem tagtäglich Hunderte Male begegnet. Während mein Blick gerade über sie hinweg wandert schaut sie auch kurz zu mir rüber. Der übliche Blickkontakt. Schon fast ein Ritual unserer Gesellschaft.

Taubstummengasse. Ich merke aus den Augenwinkeln, das der Typ mir gegenüber schon wieder zu mir rüber starrt. Mich anstarrt...nicht durch mich durch, wie es in der U-Bahn üblich ist. Die Frau links neben mir steht auf und steigt aus. Ich stehe auf, schultere den Rucksack und straffe meine Jacke, steige ebenfalls aus. Eigentlich hätte ich noch 5 Stationen. Ich folge ihr in wenigen Metern abstand. Sie nimmt die Stiegen und ich steige hinter ihr hinauf. Ich frage mich nicht mal warum ich das tue. Sie wirft kurz einen Blick über ihre Schulter zu mir nach hinten als wir die Station verlassen und wieder unter freiem Himmel stehen. Sie geht weiter, führt mich, ich lasse meinen Blick nicht von ihr. Beobachte sie wie sie geht...folge ihren Beinen die mit wiegenden Schritten den Boden unter sich, hinter sich bringen. Mein Blick wandert die Beine nach oben, rhythmisch zeichnet sich mal die eine, dann die andere Pobacke unter ihrem Rock ab. Keine Reaktion in mir oder an mir, es ist mir gleich. Mein Blick geht weiter nach oben, über ihre Schultern, die zum Teil vom braunen Haar verdeckt sind. Ihren Hals kann ich gar nicht einsehen. Mein Abstand zu ihr bleibt gleich. Nach wenigen Minuten stehen wir vor einer Haustür. Sie sperrt auf, ich folge ihr...es fühlt sich so selbstverständlich an. 1. Stock. 2. Stock. Wieder eine Tür. Sie sperrt auf, ich folge ihr. Sie legt ihre Schlüssel und die Handtasche ab, schmeisst die Jacke über einen Sessel, geht weiter, in den letzten Raum der Wohnung. Wortlos folge ich ihr, beachte das Interieur nicht.
Wir schauen uns nicht an. Es ist leise, eher schon still. Bis auf das leise Geräusch eines sich öffnenden Zipps und der zu Boden gleitenden Kleidung ist gar nichts zu hören. Trotz der warmen Farben im Raum ist mir doch eher kühl. Ich blicke kurz an mir runter, ein vertrauter Anblick, nichts neues und alles da wo es sonst auch ist. Ich lächle zufrieden... oder ist es erleichtert? Zögernd wende ich meinen Blick von mir ab. Warum zögernd? Finde ich meinen Anblick so unwiderstehlich, das ich nicht genug bekomme, oder habe ich Angst vor dem was mich erwartet. Neben dem Haufen Kleidung der mir gehört befindet sich ein weiterer Haufen Textil, den Rock kann ich eindeutig als den identifizieren den die Frau der ich gefolgt bin getragen hat. Slip und BH dürften wohl auch ihr gehören, stelle ich für mich fest. Ich stelle fest, das der Platz neben dem Kleidungshaufen unbesetzt ist...denn anders als ich steht sie nicht mehr wie angewurzelt im Raum rum.
Sie liegt bereits auf dem Bett. Flach am Rücken, ihr Atem geht ruhig und regelmässig. Ich erfasse sie als ein Ganzes, wie sie so vor mir liegt, ihre helle Haut, ihre Brüste, ihr Nabel, ihre Schenkel, die Bikinizone... und obwohl ich feststelle das sie mich nicht anspricht, ich sie nicht kenne, sie mir nichts bedeutet stellt sich ein gewisser Grad der körperlichen Erregung bei mir ein. Tja...soviel zu den primitiven Anlagen die man nicht steuern kann...
Ich lasse mich über ihr auf dem Bett nieder, sie öffnet sich, ihre Schenkel umschliessen mich - würden mich nicht los lassen, selbst wenn ich es wollte. Wir verschmelzen...zumindest körperlich. Langsame, rhythmische Bewegungen folgen, werden schneller und intensiver. Leises Keuchen ist zu hören. Ob von mir oder von ihr, ich weiss es nicht. Ich denke an den coolen Bart von dem Typen aus der U-Bahn und frage mich wieder, was ich tun muss, um auch so einen Bart zu bekommen. Die Beckenbewegungen gehen automatisch weiter. Wie schon vorhin in der U-Bahnstation keine Möglichkeit um abzulesen wieviel Zeit vergeht... Die Beckenbewegungen werden kurzfristig schnell und fest, ein kurzer Moment der Erstarrung dann langsames Fade-out. "Das wars" stelle ich still für mich fest. "_Das_ wars?" frage ich mich innerlich.

Karlsplatz. Der Typ mir gegenüber starrt mich noch immer an. Selbst ein cooler Bart rechtfertigt es nicht mich 3 Minuten lang anzustarren finde ich. Die Leute steigen ein, die Leute steigen aus, sie stehen auf, sie setzen sich. Die Leute hasten an der Aussenseite der U-Bahn vorbei. Müde Blicke innen, müde Blicke aussen. Ein kleines Kind schreit hinter mir. Der Bär reckt kurz den Hals um zu sehen was los ist. Ich widerstehe dem Drang mich umzudrehen. Links von mir, durch den Gang getrennt, sitzt jetzt eine andere Frau. Ich beachte sie nicht weiter.

Schwedenplatz. Ja...nur mehr 2 Stationen und ich komm endlich aus dieser überfüllten U-Bahn raus... Gegen 18 Uhr auszuhaben und dann mit der U-Bahn zu fahren, gehört zu den Dingen, die ich nicht als komfortabel bezeichnen würde. Es ist weniger die räumliche Beengtheit die mich stört. Nirgendwo anders als in der U-Bahn kann man sich so alleine fühlen, obwohl einen so viele Menschen umgeben. Nicht nur das man sich nicht ansieht - außer diesem obligatorischen ersten Blick, um zu sehen wer da einem die Luft wegatmen will - nein, man schottet sich ab. Bildet eine eigene Zone, ein Terrain der Hostilität, als ob man seine Persönlichkeit verliert, sein individuelles Wesen wenn man sich auf die anderen Personen einlässt. Mir wird bewusst das ich keine Ausnahme bilde, und schon fühle ich mich den anderen auf eine eigenartige Weise verbunden. So sehr wir uns auch bemühen die anderen zu ignorieren, wir beeinflussen sie.

Nestroyplatz - one more station. Mr. Cool Bart steigt aus. Yes. Auch wenn er die letzten Stationen es unterlassen hat mich anzustarren. Nun sind nur noch der Bär und ich von der Original-Besatzung dieses 4er-Sitzplatzes übrig. Ich finde den roten Faden meines Gedankenganges wieder. Wir beeinflussen die anderen. Das hat was von Quantentheorie. Mein beobachten eines Objektes verändert es, und legt fest wie und was es ist. Ich kann bei dem Gedanken ein Grinsen nicht unterdrücken, frage mich aber gleichzeitig was die anderen sich dabei denken müssen.
Die U-Bahn wird langsamer, kommt aus ihrem Tunnel, das Licht der Station dringt durch die Fenster...es ist anders als das Licht in der U-Bahn.

Praterstern. Die Leute am Bahnsteig schauen erwartungsvoll, lechzend..endlich ihre U-Bahn die sie heimbringt, oder ins Kino, oder wo immer sie hinmüssen. Die Leute vor den Türen schauen lechzend und erwartungsvoll...endlich die Station bei der sie raus müssen, um heimzugehen oder ein anderes Transportmittel zu wählen. Ich stehe auf, schultere den Rucksack, straffe meine Jacke, schiebe mich in die Menge der Ausströmenden. Ich werfe einen letzten blick auf den Bären. Bilde ich mir das ein, oder hat er auch gerade zu mir geschaut. Habe ich in seinen Augen so was wie ein "Ciao, schönen Abend noch, vielleicht sehen wir uns ja mal wieder" gelesen? Ich schüttle den Kopf und lasse mich aus dem Wagon schieben. Schiebe die Leute um mich vor mir mit bis ich wieder festen Boden unter den Füssen hab. Wäre es nun angebracht, dem Papst ähnlich auf die Knie zu fallen und den Boden zu küssen? Klar, ich würde mir alle möglichen Krankheiten holen, aber es _ist_ ein bedeutende Geste. Ich komme aber eh nicht dazu es in die Tat umzusetzen, ich wurde mittlerweile viel zu weit weggeschoben, als dass es jetzt noch von Bedeutung wäre. Ich werfe von aussen einen Blick auf Bär, er schaut durch mich durch...zumindest tut er so. "Bis dann, wir sehen uns", sag ich ihm mit meinen Augen und gehe weiter. Die Stiegen vor mir, die Meute hinter mir, nur eines war klar - das Ziel war die Schnellbahn.

- BM out -
la-mamma hat am 6. Mai, 17:18 ein Lebenszeichen gegeben
gefällt mir gut -
(falls du gerne eine wertung hättest.) ein paar jahre später hättest du vielleicht manches prägnanter formuliert oder ein bisschen etwas weggelassen (wirklich nicht viel) - die geschichte "fließt" jedenfalls und deine sprache find ich angenehm unaufgeregt und recht treffend! 
Black_Mage hat am 6. Mai, 19:33 den Schein gewahrt
stimmt, wenn ich das heute schreiben wollen würde, hätte es einen ganz anderen Klang, wohl auch einen anderen Fluss.

In den nächsten Wochen, werde ich drei Geschichten hier posten, die ich mit der gleichen Aufgabenstellung zum selben Zeitpunkt geschrieben habe, bei denen ich aber bewusst immer einen anderen Stil verwendet habe. Bin gespannt, wie du das dann analysierst. 
 

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