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Als ich am Sonntag lange ausgeschlafen hatte und nur in Boxershorts in die Küche wankte, saß sie bereits am Esstisch. Mit unterschlagenen Beinen balancierte sie auf dem Stuhl, hatte ein Buch vor sich aufgeschlagen. Es war ein Thriller aus meinem Bücherregal. Sie blickte kurz auf, lächelte und winkte kurz, dann senkte sie den Blick wieder und las weiter. Sie war erst im zweiten Kapitel konnte also noch nicht so lange hier sein. Oder war sie vielleicht immer hier? Beobachtete sie mich im Schlaf? Auf der Toilette?
"Wer bist Du? Was machst Du hier? Beobachtest Du mich? Bist Du nur meine Einbildung? Was soll das alles?", fuhr ich sie plötzlich an. Es sprudelte aus mir raus, alles auf einmal, Frage um Frage, einfach nur um Antworten zu bekommen. Es kann sein, dass ich sie sogar nach der Uhrzeit oder Lösungen zu einfachen mathematischen Aufgaben gefragt habe.
Sie blickte mich nur an, völlig ruhig, mit ihren großen Augen. Ihre Mimik zeigte keine Regung, bis sie plötzlich den Zeigefinger an die Lippen führte, mir signalisierte still zu sein. Als ich das endlich begriffen hatte und die Klappe hielt, wandte sie ihren Kopf wieder von mir ab und las weiter.
Natürlich, das machte alles Sinn. Wenn sie lediglich meiner Imagination entsprang, woher hätte sie Antworten auf etwas haben sollen, dass ich selber nicht verstand. Und wenn sie ein Geist war, was würde es sie kümmern, wenn ein dummer Sterblicher sie mit Fragen bombardierte. Ich beschloss sie zu ignorieren, und mich um meine eigene Sachen zu kümmern. Sollte ich tatsächlich den Verstand verlieren, dann konnte ich das ruhig auch mit einem Frühstück im Magen und nach Möglichkeit geduscht und rasiert.

Damit ging ich in die Küche, startete die Kaffeemaschine und den Toaster, kramte in den wenigen Vorräten im Kühlschrank rum, bereitete mir ein großes Frühstück zu. Als ich mit einem Teller Brote in der einen Hand und der Tasse Kaffee in der anderen wieder zurück zum Esstisch kam, war sie weg. Das Buch lag noch immer aufgeschlagen da, die Seiten waren gerade dabei wieder zuzufallen. Ich stellte meine Sachen ab, und griff nach der Zeitung vom Vortag, von der ich ein Stück abriss. Ich schob den Zettel als Lesezeichen zwischen die Seiten, von denen ich annahm, dass es die letzten gewesen waren, die sie gelesen hatte bevor sie wieder verschwunden war. Wer weiß, vielleicht konnte sie das ja selbst nicht so kontrollieren?

Als sie am späten Nachmittag des selben Tages wieder auftauchte, ich saß gerade vor dem Computer, hatte ich bereits für mich den Entschluss gefasst, dass ich sie einfach akzeptieren würde. Sollte sie eine verlorene Seele sein, würde es nicht an mir liegen, ob sie sich hier aufhalten dürfte. Und wenn ich tatsächlich den Verstand verlor, nun ja, dann wollte ich mich mit meinem Hirngespinst wenigstens anfreunden. Ich entschuldigte mich bei ihr dafür, sie in der Früh so angefahren zu haben, wobei ich keine Ahnung hatte, ob sie mich überhaupt verstand. Sie selber sagte nichts, verzog keine Mine, blieb dann aber hinter mir stehen und sah mir zu wie ich ein Kartenspiel spielte. Nach dem ich ein paar Partien verloren hatte, und mich zu ihr umdrehen wollte, war sie schon wieder weg. Diesmal hatte ich aber das bestimmte Gefühl, dass sie wieder kommen würde.

Und sie kam tatsächlich wieder. Jeden Sonntag, und blieb dann auch oft länger, oder verschwand auch mal nur für kurze Zeit um dann wieder aufzutauchen. Die Intervalle variierten stark, manchmal waren es nur wenige Minuten, die ich sie in meiner Umgebung sah, dann auch mal eine knappe Stunde am Stück. Ihr Verschwinden ging genauso überraschend und plötzlich von statten wie ihr auftauchen. Ich schaute hin, sie war da. Ich schaute wieder hin, und sie war weg.
Manchmal schauten wir gemeinsam fern, oder saßen beide lesend auf der Couch. Manchmal schaute sie mir zu, wie ich am Computer saß, hin und wieder unternahmen wir Dinge getrennt von einander, in dem Sinn, dass ich wusste, dass sie gerade in der Wohnung war, aber ich deswegen nicht alle liegen und stehen lies. Es wurde für mich komplett normal, dass ich ein Zimmer betrat und ihr bläulicher Schimmer bereits da war, wobei sie fast ausschliesslich im Wohnzimmer blieb.
Je öfter wir uns trafen, umso mehr fielen mir kleine Veränderungen an ihr auf. Es war nicht so, dass sie immer die selbe Kleidung trug, aber ohne Farbe ist es gar nicht so leicht die Dinge auseinander zu halten. Aber ich konnte durchaus verschiedene Schnitte wahrnehmen, da sie eher schlichte Kleidung zu bevorzugen schien. Nach etwa 2 Monaten fiel mir auch auf, dass ihre Stirnfransen etwas weiter ins Gesicht hingen und ihr Pferdeschwanz länger geworden war.
Mittlerweile war es so, dass sie mich immer anlächelte wenn sie mich sah, und auch ein wenig Feedback gab. Mir schien fast so, als wollte sie zwar eine vernünftige Kommunikation unterbinden, aber sie der Verlockungen die ich ihr bot nicht widerstehen konnte. So lies ich ihr einmal die Wahl zwischen den DVDs die wir uns anschauen konnten, oder schob ihr einen Sessel zum Computertisch, damit sie nicht stehen musste. Ich wusste natürlich nicht, ob Geister stehen als anstrengend empfanden, aber ein gewisser Komfort ist nie schlecht.

Ich für meinen Teil hatte beschlossen anzunehmen, sie wäre ein Geist. Natürlich wollte ich nicht den Verstand verlieren, also wäre eine Annahme dieses Zustandes, völlig gegen jede Regel der Vernunft gewesen. Und Vernunft, so schloß ich, wäre das mindestes, was ich zeigen sollte, wenn ich meinen Verstand zum Verweilen veranlassen wollte.
Witzig war auch, dass ich ihr nie einen Namen gegeben hatte. Wenn ich an sie dachte, bin ich anfangs immer darüber gestolpert, dass ich keinen Begriff hatte, der sie bezeichnet hätte. Es ist nicht einfach, wenn man in einer Welt lebt, in der alles eine Bezeichnung oder einen Namen hat, und man es plötzlich mit etwas oder jemandem zu tun hat, der komplett ohne dem auskommt. Aber es war tatsächlich so, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre, mir irgendeinen Namen für sie auszudenken, oder von ihr als "der Geist" oder "das Hirngespinst" zu denken. Wenn ich an sie dachte, dann war es einfach nur 'sie', und damit war ich auch hellauf zufrieden.

Nach dem ersten Gespräch mit Viktor habe ich sie keinem meiner Freunden gegenüber mehr erwähnt, und auch Vik schien die Geschichte längst vergessen zu haben. Doch nach einigen Wochen fiel meinen Freunden auf, dass ich Sonntags keine Zeit mehr für sie hatte. Ich wollte diese gemeinsamen Sonntage mit ihr einfach nicht verpassen, und schaffte es so, allen anderen mehr oder weniger gelungene Ausreden aufzutischen, warum ich keine Zeit für Unternehmungen hätte. Irgendwann muss Viktor sich aber wieder an diese Geschichte erinnert und es den anderen erzählt haben. Denn eines Samstag vormittags stand die gesamte Truppe vor meiner Wohnungstür.

"Komm pack ein paar Sachen, wir fahren fort."
"Wie, fort?", ich war schon überrascht genug meine Freunde unangekündigt vor der Tür stehen zu haben. Ein spontaner Urlaub war da eine Stufe zu hoch, um ihn einfach im Lauf mitzunehmen.
"Ja, wir fahren an den Teich. Ein gemütliches, sonniges Wochenende, Grillerei, Bier. Hopp-Hopp."
"Ähm.", strauchelte ich weiter. Mir fiel so spontan keine glaubhafte Ausrede ein, außerdem war in ihren Gesichtern anzusehen, dass sie auch keine Widerrede tulden würden.
Andi, besser gesagt seine Eltern, hatten ein Wochenendhaus an einem Schotterteich außerhalb der Stadt. Seit Jahren war es Tradition, dass wir mehrmals im Jahr solche Ausflüge dorthin unternahmen, den Griller anwarfen und Karten spielten. Ich lies also die Jungs rein, während ich meine Sporttasche mit dem nötigsten befüllte. Als ich gerade mit Zahnbürste und anderen Toiletteartikeln aus dem Bad kam, bemerkte ich, wie Tom und Vik im Wohnzimmer standen und sich offensichtlich sehr genau umschauten. Mir war sofort klar, was vor sich ging.
"Sucht ihr was?"
Die beiden warfen sich einen kurzen Blick zu. "Ist sie gerade hier?"
"Wer?", ich versuchte es so beiläufig zu sagen, wie es ging, und packte nebenbei meine Tasche fertig.
"Hm, ach nichts."
Und ich belies es dabei und zu meinem Glück sprachen auch die Jungs das gesamte Wochenende nicht mehr darüber. Und es wurde wirklich ein schönes Wochenende, das Wetter spielte mit und wir hatten gewohnt viel Spaß. Als sie mich Sonntag Abend wieder vor dem Haus absetzten, hatte ich komplett vergessen, dass ich somit meine halbdurchsichtige Mitbewohnerin versäumt hatte.

- BM out -
morphetetis hat am 29. Apr, 11:29 ein Lebenszeichen gegeben
Ich bin schon gespannt, wies am Freitag weiter gehen wird.. 
Black_Mage hat am 29. Apr, 14:47 den Schein gewahrt
hehe. ich auch... 
 

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