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Einer der letzten Texte die ich verfasst habe, fand seine Inspiration im Nine Inch Nails-Song: "Everyday is exactely the same". Als ich das Lied vorhin gehört habe, ist mir der folgende Text (aus 2011) wieder eingefallen, und die Tatsache, dass ihn noch niemand zu lesen bekommen hat.

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Ich kann nicht sagen wie es begonnen hat. Alles was ich weiß, ist wie es enden wird.

Ich war sicherlich einer der ersten der gegangen ist, als die Stadt evakuiert wurde. Vielleicht war ich sogar schon vorher weg, bevor sie die Lager und die Busse bereit hatten. Meine Freunde wollten alle bleiben. Sie wollten "für das kämpfen was uns gehört", nicht "einfach kampflos aufgeben", zeigen "was in uns steckt". Ich war kein Kämpfer und war mir sicher, dass ich nicht viel zu zeigen hatte. Sie haben natürlich versucht mich zu stoppen, aber nicht mich aufzuhalten.
Mir fiel es wohl auch leichter zu gehen. Ich war von je her nicht so verwurzelt gewesen. Zu gehen als alles begann den Bach runterzugehen war das natürlichste für mich und ich hatte daran keinen Zweifel.
Das Lager war in Ordnung. Zu Beginn. Dann kamen immer mehr. Damit verlor es an Lebensqualität. Irgendwie wurde das Lager dann zur Stadt vor der Stadt. Der Prozess war nicht mal schleichend. Keine gemütliche Transformation. Den Leuten war klar, dass sie nie mehr zurück konnten. Oder wollten. Wohl mehr wollten, nach allem was geschehen war und noch geschehen würde.
Wenn die Konvois im Lager eintrafen, wartete ich immer am Rand der Quarantänezone ob nicht meine Freunde oder alte Bekannte aus den Bussen steigen würden.
Das Lager wuchs, die Menschen wurzelten ein, die Konvois wurden weniger, meine Freunde kamen nie. Es gab keine Listen mit Namen von Leuten die vermisst wurden, oder von denen man wusste, dass sie nicht mehr kommen würden. Es waren zu viele, als das man sie listen konnte. Es waren zu viele, als dass jemand sie hätte auflisten wollen.
Die Stadt vor der Stadt wurde solide. Fest. Real. Die Stadt selbst aber wurde unscharf. Ein Schemen. Ein Ort der ins Vergessen abgeschoben wurde und verdrängt wurde, auch wenn er stets im Augenwinkel zu sehen war. Vor allem Nachts.

Bei Tag war die Stadt vom Lager so weit entfernt, dass man sie nicht mehr richtig sehen konnte. Wenn man wusste wo sie war, dann konnte man sie natürlich erkennen. Bei Nacht aber, sah man sie ganz deutlich. Die Lichter erzeugten eine kleine Kuppel, ein Nachglühen von dem was einmal war. Bei Tag gelang es den Leuten die Stadt zu ignorieren, so zu tun als wüssten sie nicht, wo sie war. Bei Nacht jedoch hatten wir sie so klar vor Augen, und die Distanz schrumpfte dahin.

Ich weiß nicht warum genau ich die Stadt vor der Stadt verlassen habe, und mich am Weg zur Stadt aufgemacht habe. Vielleicht war mir ich bereits bewusst was ich tun wollte, bevor ich zur Stadt kam. Aber erst als ich dort war, wusste ich was ich tun würde.
Die Stadt war abgeriegelt. Sperren und Betonblöcke und Stacheldraht und Wachtürme. Aber all das war gedacht um zu verhindern, dass jemand die Stadt unkontrolliert verlässt. Um in die Stadt hineinzukommen musste man einfach nur geradeaus gehen.
Es wurde abend als ich in die Stadt kam.

Die Sonne verschwand langsam hinter dem Horizont. Der Himmel wurde düster. Und die Lichter der Stadt wurden heller. Es waren weniger Lichter als ich mir erwartet hatte, weniger als ich in Erinnerung hatte, weniger als ich befürchtet hatte. Die erste Nacht schlief ich unter einer Straßenlaterne.

Ich hatte zu Beginn keinen wirklichen Plan, wie ich mein Vorhaben umsetzen wollte. Und wenn ich ehrlich sein soll, war ich selbst, als ich dann einen Plan hatte, noch immer ziemlich willkürlich. Was ich schnell erkannte war, dass ich bei Tag so gut wie nichts tun konnte. Ich musste auf die Nacht warten, und darauf dass die Lichter zu sehen waren.
Bei Tag schlief ich in irgendwelchen Wohnungen. Da hatte ich reichlich Auswahl - jede war für mich frei. Zu Beginn war ich noch neugierig in wessen Wohnung ich da war. War es jemand der nun in der Stadt vor der Stadt lebte? Jemand der die Stadt nicht verlassen hatte? Die Wohnungen waren voller Erinnerungen. Es waren aber die Erinnerungen von Leuten die es nicht mehr gab, oder die sich nicht mehr daran erinnern wollten. Die Erinnerungen waren wertlos, und so verlor auch ich das Interesse daran, sie mir anzusehen. Ich gab den Wohnungen wieder ihre Aufgabe zurück, einfach nur ein sicherer Unterschlupf zu sein.
Wenn der Abend kam und die Sonne verging, verlies ich die Wohnung, drehte das Licht ab und schloß die Tür. Keine Wohnung betrat ich ein zweites Mal. Keine Straße schritt ich erneut ab.
Jede Nacht ging ich durch die Stadt und drehte das Licht ab. Ich warf Steine gegen die Straßenbeleuchtung bis sie barsten und schlug Laternen ein wenn ich sie erklettern konnte. Ich ging in die Wohnungen und legte die Lichtschalter oder gleich den FI im Schaltkasten um. Ich kam mit den Lichtern und ging mit der Dunkelheit.

Zuerst war meine eigene Wohnung dran. Dann mein Haus, mein Straßenzug. Dann ging ich zur Wohnung eines Freundes. Dann zu der eines anderen. Mein Weg führte mich durch die ganze Stadt. An manchen Straßen war soviel zu tun, dass ich mehrere Tage brauchte um ihr Licht abzudrehen. Andere Straßen waren schon finster wenn ich kam.

Die Tage wurden kürzer. Woran ich das merkte weiß ich nicht, immerhin verschlief ich sie. Mit jedem Licht dass ich abdrehte, wurden die Nächte länger. Mit jeder Nacht die länger wurde, hatte ich mehr Zeit mehr Lichter abzudrehen.

Ich weiß nicht wie lange ich das so gemacht habe. Ich hätte die Tage zählen sollen, als ich in die Stadt kam. Dann wüsste ich die Wochen. Ohne die Wochen lassen sich die Monate nicht abschätzen. Wozu hätte ich aber auch die Tage zählen sollen, wenn es die Nächte waren, in denen ich lebte? Was bringen die Tage, wenn sie immer kürzer werden?

Irgendwann. Eines Tages, oder eines Nachts stellte ich mir zum ersten Mal die Frage, was aus den Leuten in der Stadt vor der Stadt geworden war. Ob ihnen auffiel, dass die Lichter ausgingen? Ob sie wussten, dass jemand das Licht abdrehte, oder ob sie dachten, dass sie nur im Vergessen besser wurden? Die einzige Frage, die ich mir weiterhin nicht stellte war, warum ich es tat. Die Frage war für mich ohne Bedeutung, und ihre Antwort wäre der Frage nicht gerecht geworden. Ich tat es. Ich drehte das Licht ab. Irgendeiner war immer der Letzte der ging.

Es war das Haus des letzten Freundes das ich nun besuchte. Die Straße der ich gefolgt war, lag bereits finster hinter mir. Vor mir waren noch zwei Straßenlaternen und danach war nur mehr das Haus, mit seinen großen Fenstern und dem Licht dahinter. Es würde bald Tag werden. Diese Laternen und dieses Haus waren die Aufgabe für eine weitere Nacht.
Der Himmel verlor sein dunkelblau und bekam einen hellen Schimmer. Ein rosa-oranges Glühen würde sich am Horizont zeigen. Ich lies mich am Straßenrand nieder. Es lohnte sich nicht, mir eine Wohnung zu suchen. Ich lehnte mich gegen ein geparktes Auto und schloß die Augen.
Der Tag brach an.
Mit tiefen Atemzügen döste ich für ein, zwei Minuten vor mich hin.
Der Schimmer verging. Es wurde Abend. Ich öffnete die Augen gerade rechtzeitig wieder um noch einen letzten Rest von lila und rosa verschwinden zu sehen. Wie kurz die Tage doch geworden waren. Ich nahm mein nächtliches Tagewerk auf.

Als die beiden Laternen erloschen waren, betrat ich das Haus meines Freundes. Er war nicht zu Hause. Ich drehte das Licht im Flur ab. Dann im Wohnzimmer und in der Küche. Ich nahm die Treppe in den oberen Stock. Mein Freund hatte ein Lese- und Studierzimmer gehabt. Ein Raum mit einem massiven Schreibtisch und die Wände waren mit Bücherregalen bestückt. In der Mitte des Raumes war ein Ohrensessel mit einer Stehlampe daneben. Wir hatten uns immer über dieses 'Alt-Herren'-Zimmer unseres Freundes lustig gemacht. Die Stehlampe war das letzte Licht.

Ich nahm nicht im Ohrensessel platz, sondern trat nur an die Stehlampe heran. Sie hatte eine kleine Kordel mit der man den Schalter betätigte.
Ich zog daran. Das letzte Licht verging und mit ihm der Schemen der Stadt vor Stadt.
Und damit endet es.


- BM out -
la-mamma hat am 13. Mär, 15:43 ein Lebenszeichen gegeben
"schemen" hab ich auch schon lang nicht mehr als substantiv gelesen. und die geschichte find ich sehr gut geschrieben! den allerletzten satz bräucht´s für mich gar nicht mehr;-)

PS: überhaupt hab ich mich noch nie bedankt, dass eigentlich du mich in einem lang,lang zurückliegenden blogeintrag zum ersten kapitel davon inspiriert hast ... 
Black_Mage hat am 16. Mär, 11:28 den Schein gewahrt
Danke für das Lob und freut mich, dass ich als Muse helfen konnte. Muss den Krimi mal lesen :)

Ich muss sagen, dass mir der letzte Satz auch nicht wirklich gefällt. Ich habe ihn nur drin, damit sich der Bogen zur Einleitung wieder schließt. 
Lene (Gast) hat am 13. Mär, 17:20 ein Lebenszeichen gegeben
Schön, dass er nun doch auch für andere zu lesen ist. Freue mich immer, wenn es neues von dir gibt. 
 

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