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Mein Rechnungswesen-Lehrer hatte ein Benotungssystem, das in gleichem Maß klar und nachvollziehbar wie unmenschlich war. Ich habe es zu schätzen gewusst, da es mir lieber war als die Willkür mit der andere Lehrer die Noten verteilt haben. Ich habe da sowohl erlebt wie es ist wenn man bevorzug wird (was durchaus mit einer angehobenen Erwartungshaltung verbunden sein konnte), als auch, wenn man in den Augen des Lehrers gar nichts richtig machen kann. Nicht bei diesem RW-Lehrer, in seinen Augen waren alle gleich.
Jede Leistungsüberprüfung war mit erreichbaren Punkten versehen. Hausaufgaben und Stundenwiederholungen waren 1 möglicher Punkt, Schularbeiten 24 und Tests 12. Jeder Punkt den du nicht erreicht hast, hat dich unaufholbar nach hinten geworfen.

Das hat im April 199x zu jenem legendären Dialog geführt:
RW-Lehrer: Also an deiner Stelle würde ich anfangen für die Prüfung zu lernen.
BM: Naja, die Entscheidungsprüfung ist ja eh erst im Juni.
RW-L: Ich meine die Nachprüfung im September.

Denn auch die Entscheidungsprüfung wäre zu den möglichen Punkten hinzugerechnet worden – und ich war bereits so weit unterm Schnitt, dass selbst eine Prüfung auf einen Einser mit allen Punkten mich nicht mehr über 50% gebracht hätte. …frustrierend aber auch ungemein befreiend, da ich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr für Rechnungswesen lernen musste.

Meine Eltern waren während meiner Schulzeit vielleicht 3 Mal in einer Sprechstunde und nicht mal bei jedem Elternsprechtag. Es war ihnen nicht egal was ich aufführte, aber ihnen war klar, dass ich im Grunde für alle meine schulischen Probleme selbst verantwortlich war. Ich war nicht nur ein fauler Hund, ich war auch bald so ein Alter dem man keine neuen Tricks mehr beibringen konnte. Der beste und geduldigste Lehrer konnte da nichts machen.
Bei meinem Rechnungswesen-Lehrer sind sie jedoch aufgetaucht, noch dazu im Doppelpack. Denn diese Aussage hat ihnen gar nicht gepasst. Verschlimmert wurde die Situation noch mehr, als ihnen der „Professor“ erklärte: „Doppelte Buchhaltung kann man nicht auswendig lernen. Das muss man verstehen. Da muss einem der Knopf aufgehen.“
Ich kann mich noch an den irritierten Blick meiner Mutter erinnern, als ich begonnen habe den Lehrer und sein Notensystem zu verteidigen…

Der Knopf ist mir nicht aufgegangen, ich habe einen 5er bekommen und habe die halben Sommerferien bei einer Nachhilfelehrerin verbracht.
Ich habe Rechnungswesen weiter nicht verstanden, aber die Nachilfestudentin war hübsch. Ich erinnere mich auch ihre riesigen Katzen. Bis ich dann eines Tages – zu ihrer und meinem Erstaunen – plötzlich die Aufgaben ohne jegliche Hilfestellung ratzfatz gelöst habe. Auch die Nächste. Nie im Leben hätte ich aus einem Aufwandskonto einfach weggebucht. Kein Buchungsatz stand mehr verkehrt rum. Der Knopf war aufgegangen.

Die Nachprüfung habe ich souverän bestanden. …und bin mir in der ersten Rechnungswesen-Stunde im neuen Schuljahr ca 5 Minuten wie ein Held vorgekommen. Jetzt konnte mich in diesem Fach nichts mehr aufhalten. Dann hat uns der Lehrer gesagt, dass wir ab jetzt Finanzbuchhaltung machen. Also Mathe nur schlimmer…

Natürlich gibt es einen Anlass für diese Geschichte, hat mich doch gestern beim Duschen der Tropf-Tropf-Tropf Morsecode auf meinen Kopf zu der Frage gebracht, wie man weiß, was man nicht weiß, bzw dass man etwas nicht weiß. Darauf habe ich natürlich auch auf der Haarshampoo-Flasche keine Antwort gefunden, aber etwas anderes sehr erstaunt festgestellt:
Ich habe keine Ahnung mehr, was ich an Rechnungswesen nicht verstanden habe. Eigentlich bin ich mir sogar sicher, dass ich es ab dem Moment als der Knopf offen war, nicht mehr nachvollziehen konnte. Das komplette Problem des nicht verstehens war nicht mehr verständlich. Ich mag heute keine Ahnung mehr von doppelter Buchhaltung haben, aber ich weiß, dass ich es sofort verstehen würde, sollte ich mich damit auseinander setzen. (Etwas, das ich über Alles andere was ich in den letzten 15+ Jahren vergessen habe, nicht behaupten kann.)


Im übrigen war die Aussage des RW-Lehrers, dass man das nicht auswendig lernen kann, noch nicht mal die härteste Meldung mit der ich in der Schule konfrontiert wurde. Ein paar Jahre später wurde es von meiner Französisch-Lehrerin getoppt: „Ich sehe du lernst und du bemühst dich, aber das reicht mir nicht.“
…und da soll noch mal einer behaupten, dass man in der Schule nicht fürs Leben lernt.

- BM out -
 

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